Übersteuerneigung im Serienzustand

  • Hallo zusammen,


    der Trabant erhält in (leider seltenen) Tests der Motorfachpresse immer wieder als ein Ergebnis die Neigung zum Übersteuern. Das macht ihn in kritischen Situationen im Strassenverkehr ja auch so gefährlich. Ich hab zwar einige Ideen, woran das liegen könnte. Aber kann mir einer sagen, ob es dazu noch mehr geschriebene Kommentare gibt, die auch eine Erklärung dafür liefern? Oder woher meint ihr, kommt dieses Verhalten?


    In einem nächsten Schritt stellt sich dann nämlich für mich die Frage, wie man bzgl. eine Fahrwerksänderung (weniger Federweg, kürzere und härtere Dämpfer, Lageränderung, etc.) dieses Verhalten am günstigsten unterbindet. (Wenn man das dann überhaupt noch möchte!)


    Netten Sonntag, Bernhard ...

  • Hallo,
    also ich denke der Hauptgrund für das Übersteuern ist der positive Sturz an der Hinterachse. Dadurch ist die Aufstandsfläche der Reifen relativ gering. Um dem abzuhelfen gibt es ja die Sturzkorrekturen.
    Ein weiterer Grund könnte auch das im Vergleich zur Vorderachse geringe Gewicht auf der Hinterachse sein.
    Korrigiert mich, wenn ich mich irre.


    MFG
    Sven

  • Hi Sven,


    also wenn die Vorderachse mehr Gewicht abstützt als die Hinterachse, würde das bedeuten, dass der Schwerpunkt in Längsrichtung weiter vorne liegt. Damit würde der Trabi über die Vorderräder rutschen und somit untersteueren. Das spräche also eher dagegen, obwohl ich auch vermute, dass mehr Gewicht vorne zu suchen ist. Hat jemand vielleicht eine Achslastverteilung vom 601er?


    Der Sturz ist meiner Meinung nach ein guter Hinweis. Allerdings müsste zum Übersteuern hinten mehr Reibung vorhanden sein als vorne. Hinzu kommt, dass der Sturz vorne ja auch positiv ist. In der Kurve kann sich ändert sich der Sturz an der Hinterachse insofern, dass das kurvenäußere Rad beim Einfedern tendenziell in negativen Sturz geht und das kurveninnere eine Sturzzunahme in positiver Richtung erfährt. An der Vorderachse ist die Sturzzu- bzw. -abnahme geringer. Also könnte hier eventuell tatsächlich eine Übersteuertendenz entstehen. Aber ist´s das wirklich schon?!? Glaub ich eher nicht. Was meinen denn die anderen dazu?


    Viele Grüße, Bernhard ...

  • Hallo,
    also dass zum übersteuern viel Reibung da sein muss möchte ich bezweifeln, denn wann fängt etwas an zu rutschen, genau dann wenn zu wenig Reibung da ist um die Kräfte aufzunehmen.
    Deshalb ist es auch so gefährlich wenn ein Auto ersteinmal rutscht, denn die Gleitreibung ist geringer als die Haftreibung, d.h. die übertragbaren Kräfte sind noch geringer, wenns einmal rutscht.
    Das mit dem Schwerpunkt ist zwar richtig, jedoch werden durch das Gewicht auf der Vorderachse die Räder auch stärker auf den Asphalt gedrückt (nach der Formel: F[SIZE=7]reib[/SIZE]=m*g*mü). Also können durch die vorderen Räder höhere Seitenführungskräfte aufgebaut werden als durch die hinteren.
    Das mit dem Einfedern auf der Hinterachse tritt natürlich ein, dennoch glaube ich kaum, dass der Trabi soweit einfedert, dass das Rad einen negativen Sturz bekommt (hängt natürlich von der Beladung und vom Zustand der Federn ab), außerdem muss auch noch die Deformation der Reifen bei Kurvenfahrt beachtet werden.
    Alles in allem kann man wahrscheinlich nur durch aufwendige Fahrversuche herausfinden was alles das Fahrverhalten wie beeinflusst.


    MFG
    Sven

  • Hi Sven,


    ein Fahrzeug übersteuert doch dann, wenn es stärker in die Kurve einlenkt als es durch den Lenkeinschlag der Vorderräder vorgesehen ist (grob ausgedrückt). Oder mal anders beschrieben, wenn Dich die Hinterachse überholt (grins).


    Das kann (muss nicht) dann passieren, wenn die Hinterachse mehr Reibung hat als die Vorderachse. Also muss man, was die Reibung betrifft, schonmal zwischen der Reibung an Vorder- und Hinterachse unterscheiden.


    Bzgl. des Schwerpunkts geb ich Dir vollkommen recht. Die höheren Radlasten an der Vorderachse erlauben dort eine höhere Seitenführung. Das bedeutet eine Tendenz zum Untersteuern (siehe oben).


    Ich denke schon, dass der Sturz beim Einfedern hinten negativ wird, wenn man sich die Konstruktion der Hinterachse anschaut. Wichtiger ist aber noch, dass der positive Sturz verringert wird und damit die übertragbaren Seitenführungskräfte steigen. Je nach größe der Kräfte könnte das natürlich zum Übersteuern führen.


    Übrigens ist´s relativ einfach ein Fahrzeug zum Übersteuern zu bekommen, indem man hinten wesentlich breitere Reifen montiert als vorne. Damit wird die Seitenführung hinten größer.


    Natürlich spielen Beladung und Reifendeformation eine wesentliche Rolle, aber die gibt´s bei anderen Fahrzeugen auch und trotzdem kann man Gründe für das Übersteuern finden. Dafür sind zunächst mal keine Fahrversuche notwendig. In der Regel wird die Achskonstruktion als wesentliches Merkmal herangezogen.


    Viele Grüße, Bernhard ...

  • Hallo,
    nur das wir uns auch richtig verstehen.
    Seitenführungskräfte halten doch das Auto in der Spur. Diese Kräfte entstehen durch die Reibung zwischen Reifen und Straße, wird diese Reibung geringer bricht das Fahrzeug aus. Nachvollziehen kann man das wunderbar auf Eis.
    Das heißt wenn die Vorderräder geringere Seitenführung aufbringen gibt es Untersteuern, und wenn die Hinterräder weniger Grip haben dann gibt es Übersteuern.
    Also müsste zum Verringern des Übersteuerns der Grip auf der Hinterachse verbessert werden.
    Den effekt mit der geringen Seitenführung kann man sich auch bei der Handbremswende zu nutze machen, weil dann die Hinerräder blockieren gibt es keine Seitenführung mehr und der Wagen bricht aus.


    MFG
    Sven


    PS.: Ich hoffe es melden sich auch mal andere in dieser Diskussion zu Wort.

  • Hi alle,


    ich denke da kommen einige Faktoren zusammen.


    Einmal ist es der positive Sturz der Hinterachse, dazu der relativ kurze Radstand, die kleinere Spur als vorne und das geringe Gewicht des Hecks.


    Auch die Bereifung spielt eine Rolle.


    Aber auch der Wartburg neigte zum Übersteuern, der 1,3er allerdings nicht mehr so sehr wie sein Vorgänger.


    Der 601 hat Fahrwerksbedingt ziemlich hektische Lenkreaktionen, die mit Einführung des 1,1 (MC Pherson- Federbeine) verschwanden und den Vorteil des negativen Lenkrollradius hatten.


    Wenn man seine "Heckschleuder" kennt stellt man halt die Fahrweise drauf ein. :schock:


    Gruß


    Andy :winker:

    Bei über 120 km/h bläst mir der Fahrtwind die Zündkerzen aus ! :schulterzuck:

  • Sorry, habe Mist geschrieben !


    Der 601 hat hinten natürlich ne größere Spur als vorne, na da hätt ich jetzt beinahe was verzapft !


    Andy :winker:

    Bei über 120 km/h bläst mir der Fahrtwind die Zündkerzen aus ! :schulterzuck:

  • Hi,


    ja, das mit der größeren Spur ist bestimmt auch ein zum Übersteuern beitragender Faktor.


    Meine Meinung ist allerdings, das im Wesentlichen zwei Faktoren eine Rolle spielen. Das ist zum einen die Vorspuränderung unter der Seitenneigung bei Kurvenfahrt. Und der Reifennachlauf im Zusammenhang mit der Einzelradaufhängung hinten, die ebenfalls die hinteren Räder in Nachspur zwingen möchte. Und Nachspur ist typisch für übersteuernde Fahrzeuge.


    Übrigens mal zum Thema Übersteuern an sich. Wenn die Schräglaufwinkel (alpha) an den Hinterrädern größer sind als an den Vorderrädern, dann spricht man von Übersteuern. Das Fahrzeug dreht stärker als nur um den Lenkwinkel (delta) in die Kurve ein (siehe Bild). Ich versuch morgen nochmal ein besseres Bildchen zu finden.


    Viele Grüße, Bernhard ...

  • Hi Andy,


    nochmal gerade ´ne andere Frage. Ich kenn mich mit dem 1.1er nicht aus. Hatte der wirklich ´ne McPherson-Lösung an der Vorderachse. Ich dachte, da wären immer noch Blattfedern drin gewesen?


    Viele Grüße, Bernhard ...

  • Hi Boernhord,


    ja, der 1,1 hatte Mc Pherson Federbeine bekommen, weil für den 4-Takt Motor der nötige Platz zwischen den Vorderrädern geschaffen werden mußte. (Vordere Scheibenbremsen incl.).
    Das war mit dem Federblock nicht zu machen.
    Das zog vorne wie hinten auch eine Spurverbreiterung nach sich.


    Wenn man überlegt, das sowohl Sachsenring wie auch die Werke in Eisenach bereits seit längerem eigene 4- Takt Motoren entwickelt hatten, und dann auf Geheiß von Birgit Breul und Günther Mittag VW- Motoren (Lizenzbau) eingepflanzt wurden - die Anpassung der Fahrgestelle (Trabant & Wartburg) Millionen Ostmatk verschlangen - kommt einen das klate Grausen !


    (Birgit Breul war damals die Wirtschaftsministerin in NRW).


    Aber was Frau Breul anfaßt muß ja in die Hose gehen - siehe Treuhand !


    Ich bin mal vor 3 Jahren mit dem ehem. Ing. der AWE - Herrn Michael Stück - durch den Fundus (nicht öffentl. zugänglich) des Wartburgmuseums gelaufen, und habe dort einen in Eigenregie entwickelten 4 Zylinder Boxermotor und einen 3 Zylinder - 4- Takter (1000 cm³) auf Basis des Zweitakters gesehen, diese Motoren waren in den achtzigern Jahren bereits zur Serienreife gelangt, und sollten - je nachdem - ( 3 oder 4 Zylinder) in den Wartburg eingebaut werden.
    Aber dann mischten sich - wie bereits bekannt - die "hochkarätigen" Dipl. Ing. Breul & Mittag ein, uns so kam es, daß bei Sachsenring und AWE die Autos "um die neuen Motoren herum" konstruiert werden mußten !


    Interessant war dabei, daß auch Diesel- Motoren für Trabant und Wartburg vorgesehen waren, die Wende war dann schneller.
    So gesehen hat die "Wende" in der DDR noch einige interessante Entwicklungen der Automobilindustrie verhindert, ein Trabant Diesel, mit Bremskraftverstärker, Airbag, völlig neu gestaltetem Armaturenbrett u.s.w. wäre nicht schlecht gewesen.


    Viele Grüße


    Andy :winker:

    Bei über 120 km/h bläst mir der Fahrtwind die Zündkerzen aus ! :schulterzuck:

  • Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß eine Sturzkorrektur das Problem des Übersteuerns eliminiert.
    Schaut euch doch mal die Hinterreifen an, nach 20.000 km bei originaler Achse. Die äußeren 1,5 cm sind abgefahren, der Rest hat noch die Noppen vom Gießen. Das heißt zum einen, daß die Reifen sehr schnell ausgetauscht werden müssen, und daß die Auflagefläche des Reifens nur zu maximal 30% genutzt wird, da könnte man hinten auch Sofarollen montieren.
    Bei so geringer Fläche ist es kein Wunder, daß Seitenkräfte nicht vom Reifen verarbeitet werden können.
    Sobald der Reifen z.B. durch eine Sturzkorrektur wie vorgesehen mit der gesamten Breite über die Straße rollt, sind auch 70 km/h im Autobahnkreuz ohne Quietschen völlig stressfrei möglich.
    ( getestet mit Radialreifen !!!! Mit Diagonalen traue ich mich das nicht ...)

  • also!


    es ist alles viel einfacher, als ihr denkt.


    ihr könnt bei jedem trabi in rasanter kurvenfahrt beobachten, wie er an der hinterachse förmlich ausgehoben wird. der sturz wird extrem positiv. der reifen kippt auf der felge zur seite und kurz vor dem umkippen oder wegrutschen (übersteuern) hat die hinterachse nur noch auf einem rad haftung, und zwar auf der reifenflanke, also der seite, dort wo kein profil ist!!!


    durch die konstruktion der hinterachse, hebt es die aus, wenn das rad unten seitenkräfte bekommt.


    mit einer sturzkorrektur wird das problem komplett gelöst und der trabi untersteuert dann, also rutscht vorher auf der vorderachse.


    ... und/oder tieferlegung bringt auch abhilfe.

    2 Mal editiert, zuletzt von Little ()

  • Dieser Effekt ist uebrigens beim Kombi besonders stark ausgeprägt, da hier die Hinterfeder(n) stärker ausgelegt sind, d.h. nur ein beladener Trabant-Kombi liegt gut auf der Straße (so wie ein Tatra-Lkw).


    Der Grund des Problems liegt an der Konstruktion der Hinterachse, welche je nach Beladungszustand den Sturz veraendert. Sturzkorrekturen und Tieferlegung sind eigentlich nur dann sinnvoll, wenn man den Trabi nicht mehr als "Lastesel" einsetzen will (Zement, Schwiegermutter u.ae.). D.h. man verschiebt damit eigentlich nur den Bereich der "Normalbeladung". Aber wer ueberwiegend Leerfahrten macht, fuer den ist eine Sturzkorrektur durchaus sinnvoll.

  • Hi,


    erst schonmal vielen Dank für die zahlreichen Kommentare. Irgendwie kann ich mich dem Eindruck nicht entziehen, dass alle (bis auf Little) das Problem auf den Sturz beziehen. Ich kann mir nicht ganz vorstellen, dass es das ist. Es muss ja nicht bedeuten. dass man durch eine Veränderung des Sturzes tatsächlich die Ursache behoben hat. Meiner Meinung nach ist auch die einzeln aufgehangene Hinterachse mit dem in Fahrtrichtung vorn aufgehangenen Längslenker das eigentliche Problem. Man muss sich zusätzlich noch bewusst machen, dass in der Kurvenfahrt ja das kurvenäußere Rad eintaucht und das kurveninnere ausfedert (siehe Bild).


    Das Umkippen des Trabis muss allerdings damit nun wieder nicht unbedingt etwas zu tun haben. Ich werd da morgen mal ´nen Fachmann fragen.


    Fette Grüße in die Runde, Bernhard ...

  • Nochmal hi,


    und dann hab ich hier nochmal nach einem besseren Bild zur Erklärung des Übersteuerns gefunden. Im übrigen muss beim Übersteuern noch keine Gleitreibung im Spiel sein. Vielmehr reicht ein stärkeres Eindrehen in die Kurve als der Lenkwinkel an den Vorderrädern vorgibt.


    Viele Grüße, Bernhard ...

  • Hallo,
    und wann passiert ein stärkeres eindrehen? Dann wenn die Hinterräder schneller um die kurve wollen als die vorn, ergo die Hinterräder rutschen seitlich weg.
    Und soweit ich das verstanden habe bezieht Little das Problem ja auch hauptsächlich auf den Sturz.


    MFG
    Sven

  • richtig. ich beziehe das problem auch hauptsächlich auf den sturz.


    der trabi ist als LASTESEL konzipiert und liegt auch nur unter last gut auf der strasse.


    beim übersteuern bricht das heck aus, weil die räder die bodenhaftung verlieren und beim untersteuern rutscht das auto über die vorderräder. nichts weiter.